Mille Feuille in Albi 2024

Seit 10 Jahren pflegt die Handwerkskammer Frankfurt (Oder) – Region Ostbrandenburg eine rege Partnerschaft mit ihrer französischen Partnerkammer in Albi, Südfrankreich. Die Erfolge können sich sehen lassen.

Es ist früh, sehr früh, wenn Lilly Jahn aufbricht. Einige duftende Tage in der Patisserie Boubo liegen schon hinter ihr. „Alles ist anders hier – die Teige, die Gebäcke. Ich bin echt froh dabei zu sein!“, schwärmt die Auszubildende der Landbrotbäckerei Heidenreich aus der deutsch-polnischen Grenzstadt Frankfurt (Oder). „Vielleicht lerne ich ja sogar eine Mille Feuille zu backen.“ Chef Yohann Bouffard freut sich über die Neugier seiner deutschen Praktikantin. „Als ich in Lillys Alter war, hätte ich mir auch gewünscht, Praktika im Ausland zu machen. Deswegen habe ich sofort ja gesagt, als die Mobilitätsberaterin der Handwerkskammer in Albi mich bat, einen Praktikumsplatz bereit zu stellen.“

Fast 90 Jugendliche absolvierten gegenseitige Auslandspraktika

Die Mobilitätsberaterin, Manuela Insana, sitzt im hypermodernen Gebäude der Handwerkskammer in Albi. Gemeinsam mit ihrem Frankfurter Kollegen, Mateusz Krzyzanowski, organisiert sie seit Jahren die mit viel Aufwand für beide Seiten verbundenen Auslandspraktika, die in diesem Jahr auch mit Mitteln des Deutsch-Französischen Jugendwerks gefördert werden. Mit ihrem mittelalterlichen Altstadtkern und der alles überragenden Kathedrale Saint Cecile ist die Stadt seit 2010 Weltkulturerbe der UNESCO. „Es gibt für unsere jungen deutschen Praktikanten also auch neben der Arbeit viel zu entdecken“, sagt sie, während sie den Vorstand der ostdeutschen Partnerkammer durch das neue Berufsausbildungszentrum der Region Tarn führt, deren Hauptstadt Albi ist.  Viel hat sich getan, seit Frank Ecker vor zehn Jahren, heute Geschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) – Region Ostbrandenburg, in Albi erste Kontakte knüpfte. „Seitdem haben nicht nur 45 deutsche Lehrlinge Albi besucht. Wir haben in unseren Betrieben auch 41 junge französische Ausbildende empfangen“, sagt Ecker und konstatiert: „Seit dem Start unserer Partnerschaft haben sich die Bedingungen für Lehrlinge in beiden Ländern extrem verbessert.“

Französische Partnerkammer investierte Millionen

Vor zehn Jahren standen die französische Partnerkammer und ihr Ausbildungszentrum noch in Albi. Heute konzentrieren sich Handwerkskammer, Berufsschule, Internat und Werkstätten auf einem gut drei Fußballfelder großen Gelände am Stadtrand. Zwei weitere Zentren, eines für Kunsthandwerker und für die Aus- und Weiterbildung von Kfz-Mechatronikern, befinden sich an anderen Standorten. „Allein hier unterrichten wir 1250 Schüler in mehr als 70 Ausbildungsberufen“, erklärt der Leiter des Ausbildungszentrums, Thomas Puech, seinen deutschen Gästen. „Die Konzentration brachte zahlreiche  Synergieeffekte. Die Küche sei zugleich Ausbildungsort für Köche sowie zentrale Mensa für Bildungszentrums und Internat. Der Rundgang führt vorbei an Panoramascheiben, hinter denen Metzger, Bäcker, Konditoren und Chocolatiers ausgebildet werden. Dann geht es durch Ausbildungshallen für Trockenbauer, Elektroniker, Tischler, Maler und Lackierer. Am Ende steht das Ausbildungsrestaurant. In dem servieren zukünftige Garçons den deutschen Gästen eine Mille Feuille. Zehn Kerzen brennen zum Partnerschaftsjubiläum auf der exquisiten Blätterteig-Schichttorte. Die Präsidenten beider Kammern, Wolf-Harald Krüger und Jean-Michel Camps, blasen sie gemeinsam aus. Ihr Wunsch: Weitere zehn Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit – mindestens!

Lehrlinge lernen von Lehrlingen

Dass Alleith Zarzoui und Aurora Navarro sich verstehen, sieht gleich, wer Pascal Robaks Salon in Arthes betritt. Die beiden lernten sich schon am ersten Tag von Alleiths Praktikum kennen. „Wir hatten gerade das für alle Praktikanten obligatorische interkulturelle Training hinter uns, da sah ich Aurora im Friseursalon des Ausbildungszentrums“, erklärt Alleith. „Sie trainierte dort gerade für eine nationale Meisterschaft zum Thema Frisuren für Musicaldarsteller. Es war schön, gleich jemanden kennenzulernen, mit dem man im Praktikumssalon zusammenarbeiten wird.“ Sehr interessant findet Alleith auch das Konzept des Ausbildungssalons. Mobilitätsberaterin Manuela Insana: „Zu uns dürfen auch Kundinnen und Kunden kommen und sich für einen ermäßigten Preis von Lehrlingen die Haare schneiden lassen. Alle Friseurgeschäfte in der Region sind sehr zufrieden, dass ihre Lehrlinge bereits bei uns direkt am Kunden arbeiten, weil es deren Einsatz in den eigenen Salons dann umso schneller möglich macht.“

Verantwortungsbewusster dank Auslandspraktikum

Für neun der elf angehenden deutschen Maurer, Elektriker, Tischler, Friseure, Bäcker- und Konditorinnen ist das Praktikum in Albi das erste im Ausland. „Ich hatte ein wenig Angst davor, so ganz ohne Sprachkenntnisse“, sagt Rocco Reinke von der Firma Elektro Eggert in Altlandsberg. Doch inzwischen hat er schon ein paar der französischen Vokabeln ausprobiert, die er im interkulturellen Training erlernt hat, das am Anfang jedes Auslandspraktikums steht.  Rocco arbeitet auf den Baustellen der Firma Codelec aus dem Vorort Bellegarde-Marsal. Sein Chef, Christophe Cunha, hat die Firma vom Vater übernommen. „Seit der Übernahme vor 13 Jahren hat Christoph Blanc den Umsatz bei gleicher Mitarbeiterzahl verdoppelt. „Weil aber auch bei uns die Gewinnspannen immer kleiner werden, schafft man das nur, wenn die Arbeit effektiver organisiert wird. Auch davon will ich Rocco etwas zeigen. Ich bin überzeugt, dass solche Auslandspraktika jeden jungen Menschen weiterbringen, verantwortungsbewusster und reifer machen.“

Statt Laser wieder Richtschur und Wasserwaage

„Hier wird schon anders gearbeitet“, sagt Camillo Halfter. Der Maurerlehrling bei der Makrü Bau GmbH aus Eisenhüttenstadt errichtet gerade mit drei französischen Kollegen ein neues Geschäftshaus für eine Immobilienfirma. „Die Kollegen arbeiten hier statt mit Laser noch viel mit Richtschnur, Lot und Wasserwaage. Das ist bei uns schon etwas moderner“, resümiert er. „Aber es macht Spaß. Die Kollegen sind gut drauf. Und wenn es mit dem Verständnis hapert, hilft mir eine Übersetzungs-App.“ Sein erster Eindruck nach ein paar Tagen: „Irgendwie läuft hier alles etwas entspannter als bei uns in Deutschland.“ Chef Laurent Hernandez ist seit 25 Jahren im Geschäft. „Ich wollte wissen, was deutsche Lehrlinge so drauf haben“, sagt er. „Camillo ist in Ordnung. Er kann was. Und ich würde jederzeit wieder einen deutschen Auslandspraktikanten nehmen. Gute Lehrlinge zu finden, ist auch bei uns schwierig. Leute zu halten, noch mehr. Da muss ich mir eine Menge einfallen lassen. Das schaffst du nicht mehr allein mit einem guten Gehalt. Vier-Tage-Woche wer will, flexibles Arbeiten, auch wenn dadurch mal eine Baustelle länger dauert. Ohne ein extrem gutes Verhältnis zu deinen Kunden ist das nicht möglich.“ Einen französischen Lehrling hat Laurent Hernandez schon lange nicht mehr gehabt. „Aber wenn ich einen hätte, würde ich ihn auf jeden Fall zu einem Auslandspraktikum bei unseren deutschen Partnern schicken“, sagt er, bevor er wieder los muss.

Ansprechpartner

Mateusz Krzyzanowski

Mobilitätsberater

Telefon:0335 5619 - 169

Telefax:0335 5619 - 117

mateusz.krzyzanowski@hwk-ff.de

Dieses Projekt wurde mit den Fördermitteln des DFJW und Erasmus finanziert

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