Mirko Schwanitz / hwk-ff.de
Es hat ein wenig gedauert, bis Nicole Hauptmann ihren Weg und das Team fand, in dem sie gerne arbeitet. Mit ihrem beruflichen Weg könnte sie vielen unentschlossenen Schulabgängern ein Vorbild sein. „Das geht aber nur, wenn man sich auf den Hosenboden setzt“, sagt die heute 24-jährige. Ein Gespräch mit dem Lehrling des Monats und den Geschäftsführern Kathrin Riske und Jürgen Seliger.
Interview_Mirko Schwanitz
DHB: Bedeutet Ihnen die Auszeichnung „Lehrling des Monats“ etwas?
Nicole Hauptmann: Ich war total platt. Meine Chefs hatten mich unter einem Vorwand zur Arbeit gelockt. Eigentlich hatte ich am Tag der Übergabe frei. Als dann eine Frau auf mich zukam, und sich als Leiterin der Abteilung Berufsbildung der Handwerkskammer vorstellte, dachte ich erst, ich hätte was ausgefressen…
DHB: Überraschung gelungen?
Nicole Hauptmann: Das kann man wohl sagen. Aber als der erste „Schock“ vorbei war, fand ich es doch sehr aufmerksam. Es zeigte mir, wie sehr meine Chefs meine Leistung schätzen. Das tut gut. Denn: ich habe schon andere Erfahrungen gemacht.
DHB: Was meinen Sie damit?
Nicole Hauptmann: Da ich nach der 10. Klasse nicht wirklich wusste, was ich werden wollte, hatte ich vor dem Start meiner Ausbildung im Autohaus Riske in Schwedt bereits mehrere Jobs. Aber wohlgefühlt habe ich mich in keiner der Firmen. Entweder hat das Team nicht zu mir gepasst oder ich nicht zum Team.
DHB: Was war das Ergebnis?
Nicole Hauptmann: Ich hatte irgendwann das Gefühl, wenn ich einen guten Job in einer wirklich guten Firma bekommen will, muss ich mich nochmal auf den Hosenboden setzen und muss noch was lernen. Ich entschied, mein Abitur auf der Abendschule nachzuholen. Irgendwann machte mein damaliger Arbeitgeber das nicht mehr mit. Er sagte plötzlich: Das ist Mist. Du bist abends nicht mehr einsetzbar. Er hat mir gekündigt. Ich habe mein Abitur durchgezogen.
DHB: Und wie kamen Sie zum Autohaus Riske?
Nicole Hauptmann: Über das Arbeitsamt. Das Autohaus suchte eine Auszubildende als Automobilfachverkäuferin. Ich bekam die Information, recherchierte und wurde unruhig. Das Autohaus war als guter Ausbildungsbetrieb bekannt und fast alle Leute, die dort arbeiteten, hatten auch da gelernt. Das hieß, die mussten sich dort ja alle irgendwie wohlfühlen.
DHB: Sich wohlfühlen, war denn das für Sie das wichtigste Kriterium?
Nicole Hauptmann: Ja. Nach meinen Erfahrungen, war mir das wichtiger als ein absoluter Superjob.
DHB: Frau Riske, wie haben Sie denn Nicole beim ersten Vorstellungsgespräch erlebt?
Kathrin Riske: Sehr schön zurechtgemacht und sehr schön aufgeregt. Aber doch war da sofort etwas. Ich hatte dieses Gefühl sofort als sie zur Tür hereinkam. Und im Gespräch bestätigte sich, dass da eine junge Frau vor uns saß, die schon einen gewissen Reifeprozess durchgemacht hatte.
Jürgen Seliger: Seit Bestehen des Autohauses haben wir hier sicher schon mehr als 12 Auszubildende gehabt. Und man spürt einfach den Unterschied, ob einer mit 16 eine Lehre beginnt oder jemand sich mit 22 um einen Job bewirbt, der bereits Erfahrungen in der Arbeitswelt gesammelt hat.
Kathrin Riske: Und wir hatten beide großen Respekt, dass Nicole es gewagt hatte, neben ihrem damaligen Job auf der Abendschule das Abitur zu absolvieren. Ich kenne nur wenige junge Leute, die heutzutage diesen Mut aufbringen.
DHB: Und wie haben Sie das Gespräch in Erinnerung?
Nicole Hauptmann: Ich sage Ihnen jetzt mal nicht, wie lange ich davor vor dem Spiegel stand und wie oft ich hier vorher „vorbeigeschlichen“ bin. Aber das die Chemie zwischen den beiden und mir stimmte, dass spürte auch ich sofort. Ich wüsste auch nicht, was passiert wäre, wenn es anders gelaufen wäre. Denn gleich nach dem Gespräch musste ich in die Abiturprüfungen.
DHB: Was würden Sie denn heute Schulabgängern empfehlen. Abitur machen, oder nicht?
Nicole Hauptmann: Ich würde immer empfehlen, dass Abi zu machen. Auch wenn man nicht studieren will. Die Berufswelt ist heute so anspruchsvoll geworden, dass es immer besser ist, das Abi zu haben. Fakt ist: Wer ein Abi hat, kommt in der Berufsausbildung besser zurecht.
DHB: Ist das so Herr Seliger?
Jürgen Seliger: Meine Erfahrung sagt da definitiv: Ja! Es macht manches einfacher, man hat bessere Voraussetzungen. Nicht unbedingt im Praktischen. Aber das Lernen fällt Auszubildenden mit Abitur leichter.
DHB: Beobachten Sie das auch bei Nicole?
Kathrin Riske: Ja. Das zeigte sich schon im Teil I der Prüfung, die Nicole mit 95,9 von 100 Punkten bestand. Sie hat eine gute Auffassungsgabe, großes Organisationstalent, denkt mit und führt Arbeiten immer fehlerfrei aus. Wenn man als Arbeitgeber eine solche Auszubildende bekommt, spricht man heute von einem Sechser im Lotto.
Zum Unternehmen: Die Autohaus Riske GmbH wurde vor mehr als 43 Jahren von Günter Riske in Schwedt (Oder) gegründet und 2013 in eine GmbH mit drei Gesellschaftern überführt. Tochter Kathrin, eine ausgebildete Kosmetikerin, arbeitete später viele Jahre bei einer schwedischen Autovermietung in Spanien, stieg 2011 in die Firma des Vaters ein. Jürgen Seliger ist seit 1991 in der Firma und hat 1994 seine Meisterausbildung beendet. Bis heute wurden in der Firma mehr als 12 Lehrlinge ausgebildet. Der erfolgreiche Traditionsbetrieb hat heute zwei Standorte, beschäftigt 15 Mitarbeiter, darunter zwei Meister. Aktuell werden vier Lehrlinge ausgebildet. Das Jahr 2020 war mit 4 Mio Euro Umsatz das bisher erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte.