Inklusion im Handwerk

„Keine falsche Bescheidenheit“

Die Sozialpädagogin Nadine Gielisch ist Inklusionsberaterin der Handwerkskammer. Ihre Aufgabe: Handwerksbetriebe zu überzeugen, Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap bereitzustellen. Es ist ein schwieriger Job, der aber sehr viel Freude bereitet.

Frau Gielisch, wie viele Menschen mit einem Handicap haben Sie bisher in eine Ausbildung im Handwerk bzw. in eine Arbeit vermitteln können?

Nadine Gielisch: Ich mache diese Arbeit seit mehr als drei Jahren. In dieser Zeit hatte ich mit etwa 200 Betrieben Kontakt. 60 Menschen mit einer Einschränkung habe ich so bereits in eine Ausbildung oder Beschäftigung begleiten können.

Wie reagieren die Betriebe?

Nadine Gielisch: Oft „ploppt“ in den Betrieben das Thema „Behinderung“ erst auf, wenn die Betroffenen bereits im Betrieb sind.  Oft sind Behinderungen nicht direkt sichtbar. Insbesondere bei Lernbehinderungen zeigen sich die Probleme erst in der Berufsschule. In der Regel fehlen den Auszubildenden schulische Grundlagen. Um die nachzuholen, benötigen sie gezielt Unterstützung, damit es nicht zum Abbruch der Ausbildung kommt.

Kann man auch mit einer körperlichen Behinderung im Handwerk arbeiten? 

Nadine Gielisch: Sicher nicht überall.  Ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt, kann ein hervorragender Fachwirt sein. Oder als Sachverständiger in der Kfz-Branche arbeiten, wenn man dafür die Voraussetzungen schafft. Mit einer bestimmten Form von Autismus kann man ein guter Programmierer für eine Elektrofirma werden. Ein Mensch mit eingeschränktem Hörvermögen kann als Kfz-Mechatroniker, Maler oder Lackierer arbeiten – wenn wir das möglich machen.

Wie sieht dieses Möglichmachen aus? 

Nadine Gielisch: Ich biete den Betrieben eine dauerhafte Begleitung an, berate zu Fördermitteln, helfe bei den Antragstellungen. Es gibt erhebliche Fördermittel für Investitionen, die Einrichtung eines speziellen Arbeitsplatzes, notwendige Spezialwerkzeuge und auch Zuschüsse zum Ausbildungsentgelt und zum Gehalt. 

„Schulungen der Mitarbeiter sind genauso wichtig wie unterstützende technische Hilfsmittel“ 

Aber Geld alleine überzeugt nicht? 

Nadine Gielisch:  Nein. Zu überzeugen ist meine Aufgabe. Klar ist aber auch, die Ausbildung oder Einstellung eines Menschen mit Handicap, verändert Arbeitsabläufe oft erheblich, erfordert nicht selten eine neue Form der Kommunikation innerhalb des Betriebes und betrifft alle Mitarbeitenden. Spricht man von Menschen mit Behinderung, denken viele zunächst an eine geistige Behinderung. Bei Arbeitsverhältnissen im Handwerk sprechen wir aber überwiegend über Menschen mit einer teilweisen körperlichen Einschränkung. Ich muss also erst einmal viel erklären und aufklären.

Wie argumentieren Sie?

Nadine Gielisch: Mein erster Ansatzpunkt sind die Betriebsinhaber. Die müssen es wollen. Sie müssen das Team mitziehen. Sonst wird es schwer. Also erzähle ich zunächst vor allem von meinen Erfahrungen aus der Praxis. Denn oft geschehen mit der Einstellung eines Menschen mit Handicap tolle Dinge im Betrieb. Das Miteinander verändert sich positiv. Oft kommen die Arbeitserleichterungen für den Menschen mit Handicap auch den Kolleginnen und Kollegen zu Gute.

Wie erleben Sie die Menschen, die Sie an einen Betrieb in eine Ausbildung oder eine Beschäftigung vermitteln konnten?

Nadine Gielisch: Wenn eines fast allen gemeinsam ist, dann dies: Menschen mit einem Handicap identifizieren sich meist sehr stark mit dem Betrieb. Sie freuen sich auf die Arbeit und zeigen dies mit einem Lächeln und einer positiven Arbeitseinstellung. Ich höre immer wieder, dass dies auch die Kollegen „ansteckt“ und sich positiv auf das Arbeitsklima auswirkt.

Was sind Probleme, die Ihnen immer wieder begegnen?

Nadine Gielisch: Bei den Firmen oft falsche Bescheidenheit. Etwa, wenn sie Fördermittel nicht in Anspruch nehmen. Sie wollen sich nicht nachsagen lassen, dass sie gehandicapten Menschen nur wegen des Geldes eine Chance geben. Das hilft aber weder dem Betrieb noch dem Menschen mit Handicap.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nadine Gielisch: Nehmen wir z. B. eine Kfz-Werkstatt. Wenn dort etwa das Geld für eine spezielle Hebebühne mit Lichtsignalen nicht abgerufen wird, ist möglicherweise der Arbeitsschutz für einen hörbeeinträchtigten Mitarbeiter nicht gewährleistet. Auch Lichtleisten im Boden, die leuchten, wenn in der Werkstatt ein Fahrzeug bewegt wird, wären förderfähig.

Hier geht es also um technische Hilfsmittel?

Nadine Gielisch: Nicht nur. Auch Schulungen, die die Sensibilität der eigenen Mitarbeiter im Umgang mit dem behinderten Kollegen oder der behinderten Kollegin erhöhen, sind förderfähig. Sie sind meiner Beobachtung nach mindestens genauso wichtig wie technische Hilfsmittel.

„Ich helfe den Betrieben und Betroffenen bei der Beantragung der Fördermittel“

Was meinen Sie? 

Nadine Gielisch: Bevor ein Mensch mit Handicap sich um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bemüht, hat er oft zahlreiche Alltagsdiskriminierungen erlebt. Er will in der Regel keine Sonderbehandlung, sondern den anderen Mitarbeitenden gleichgestellt sein und gleichbehandelt werden. Das führt oft dazu, dass er seine speziellen Bedürfnisse nicht artikuliert. Ich beobachte immer wieder, dass diese Menschen oft nicht sagen, wenn sich ein Problem anbahnt.

Wieso?

Nadine Gielisch: Sie haben Angst, dann als Problemmacher zu gelten und ihren Arbeits- oder Ausbildungsplatz aufs Spiel zu setzen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass alle Mitarbeitenden für die Bedürfnisse des Kollegen oder der Kollegin mit Handicap immer wieder sensibilisiert werden. Und der Gehandicapte darf keine Angst davor haben, diese Sensibilität immer wieder einzufordern.

Wann kommen Sie eigentlich ins Spiel? 

Nadine Gielisch: Wir sprachen eingangs davon, dass das Thema in den Betrieben erst „aufploppt“ wenn es z. B. Probleme in der Berufsschule gibt. Spätestens dann bin ich die Ansprechpartnerin für die Handwerksbetriebe. Wir besprechen dann gemeinsam mögliche Unterstützungen und holen, wenn notwendig, weitere Unterstützer, wie etwa die Agentur für Arbeit oder das Integrationsamt ins Boot.

Was können die leisten?

Nadine Gielisch: Gemeinsam mit diesen Partnern können wir sozialpädagogische Begleitung organisieren, aber auch Nachhilfeunterricht. Auch die Beantragung eines Nachteilsausgleich in der Berufsschule oder in Prüfungssituationen hilft, Probleme zu lösen.

Sie warten also, bis sich jemand bei Ihnen meldet?

Nadine Gielisch: Nein. Ich bin viel in den Förderschulen unterwegs. Dort stelle ich die Berufe im Handwerk vor und unterstütze bei der Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz. Oft können junge Menschen mit einem Handicap im Rahmen dieser Schulpraktika von sich überzeugen. Dann nehme ich Kontakt zu den entsprechenden Betrieben auf und gestalte mit ihnen gemeinsam den Übergang von der Schule in den Beruf.

Wann endet Ihre Begleitung?

Nadine Gielisch: Meine Arbeit endet nicht nach Unterzeichnung des Ausbildungs- oder Arbeitsvertrages. Während der gesamten Ausbildung bleibe ich feste Ansprechpartnerin für die Betriebe und die Auszubildenden. Ich halte Kontakt zu den Berufsschulen und führe Gespräche in den Betrieben. Ich beobachte und informiere mich, um Probleme rechtzeitig zu erfassen und eventuell notwendige Handlungsschritte rechtzeitig zu besprechen und einzuleiten. Gerade Menschen mit einem Handicap benötigen stärker als andere eine Rückmeldung zu den Dingen, die bereits gut laufen und denen, die noch verbessert werden sollten. Gemeinsam nach Lösungen suchen gehört oft dazu. Ich möchte immer Perspektiven aufzeigen, auch Motivator sein, wenn der Weg in den Beruf ein paar Stolpersteine aufweist. So zumindest verstehe ich meinen Job

 

Ansprechpartner

Nadine Gielisch

Inklusionsberaterin

Telefon:0335 5554 - 242

Telefax:0335 5554 - 181

nadine.gielisch@hwk-ff.de

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